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#26 Sunita's Piece

Sunita ist Tanzschaffende – und noch so vieles mehr! Kennen gelernt habe ich sie im Coworking Space Effinger, wo ich tageweise arbeite. Als sich herumgesprochen hat, dass ich Musikerin bin, kam schnell der Hinweis, dass ich unbedingt einmal mit ihr sprechen müsse. Kurz vor dem Lockdown haben wir uns dann endlich kennen gelernt. Ich habe ihr von meinem Projekt „Vignettes On Stage“ erzählt, damals noch als Live-Version mit mehreren Konzerten geplant, und sie hat sich umgehend dafür angemeldet (und übrigens bei der daraus entstehenden digitalen Version dann ebenfalls mitgemacht! Das Resultat folgt in wenigen Wochen…!). 

 

Monate später haben wir uns in einem ganz anderen beruflichen Kontext – als Mitglieder in einem Soundingboard für ein Kundenprojekt – wieder getroffen. Es war für mich hochspannend zu sehen, wie sie ihre künstlerischen Kompetenzen auch privatwirtschaftlich als Ressource sieht und auch als solche zu nutzt. Kurz darauf haben wir einen Abend in einer kuriosen, aber sehr sympathischen griechischen Weinbar in der Berner Altstadt verbracht, und stundenlang ohne Punkt und Komma geredet, gefolgt von einem weiteren Abend zu viert, wo wir Musiker*innen auf sie und ihren Mann trafen. Er ist ebenfalls Tanzschaffender. Und wieder konnten wir kaum zu diskutieren aufhören.

 

Seither haben Sunita und ich gemeinsam mit zwei anderen Kunstschaffenden im Coworkingspace einen regelmässigen Austausch gestartet. Für mich ist es wahnsinnig spannend zu sehen, welche Parallelen sich zwischen Kunstsparten ergeben, und ich freue mich darauf zu sehen, wie es da weitergeht.

 

Und für dieses Projekt hier habe ich Sunita gefragt, ob sie mir einen Anhaltspunkt für eine Vignette liefern könnte. Einfach ein Stückli Musik. Das hat sie wenige Tage bereits geschickt, und es hat mich sehr berührt. Ich habe musikalisch eine Art weiterführende Suche darauf zu formulieren versucht, und mir viele Fragen gestellt, die ich in Zukunft noch eingehender beantworten möchte, auch gemeinsam mit Sunita. Dazu gehört unter anderem die: was macht es aus, dass ich ein Stück Musik als indisch höre, selbst wenn ich kaum etwas über indische Musik weiss? Presse ich diese Musik, und auch Sunita, dann in meinem Kopf unfairerweise in ein von mir selber konstruiertes Gefäss? Wie kann ich dies musikalisch umgehen? Und als Mensch?

 

Sunita, kannst du mir ein bisschen schildern, wie dein Alltag so aussieht?

Ein Alltag, uiuiui, gibt es das überhaupt. Er ändert sich bei mir alle paar Monate komplett. Im Moment ist es so: ich bewege mich jeden Tag zwischen zwei bis vier Stunden und betreibe Movement Research. Das können Profiklassen sein, geschlossene Gruppen, oder die Arbeit mit meiner Praktikantin.

 

Du hast es mir bereits erzählt – es ist das erste Mal in deinem Leben, dass du dem Tanz hundert Prozent deiner Zeit widmest.

Genau. Es gab immer wieder Auszeiten von etwa drei bis sechs Monaten, aber nachher bin ich immer wieder in einen Alltag zurückgekehrt, der unter anderem aus einem Brotjob bestand. Lange war es so, dass ich das Tanzen nur als Hobby betreiben konnte. Obwohl es sich nie angefühlt hat wie ein Hobby.

 

Wie ist es im Tanz: arbeitet man da auch auf etwas hin, auf eine Aufführung, wie wir Musiker*innen auf ein Konzert?

Ja, wobei eine Aufführung ganz unterschiedlich sein kann. Es kann auch eine Ausstellung sein, oder etwas, was wie ein Workshop aussieht, und dann doch eine Art Performance ist. Meistens ist es nicht das, was man sich  unter einer klassischen Tanzperformance vorstellt. Weil ich nicht gern auf Bühnen auftrete, oder in dieser klassischen Blackbox.

 

Weshalb?

Mir gefällt diese Situation nicht. Die Rolle, die die Zuschauenden einnehmen müssen, und die Performer, die sie bedienen sollen. Diese Konsumentenhaltung. Die Zuschauenden müssen ja nur entscheiden, ob es ihnen gefällt oder nicht, und sind nicht aufgefordert, sich zu beteiligen. Und wenn man auf der Bühne steht, gerät man schnell in die Falle, dass es gefallen muss, dass es gewisse Erwartungen erfüllen muss. Beim Tanz ist es oft so, dass die Leute wissen möchten, was es bedeutet hat. Was war das Narrative daran, die Bedeutungsebene? Ich liebe Formate, wo Leute aufgefordert sind, sich ihre eigene Bedeutung zusammenzustellen. Ich möchte ihnen nicht meine Imagination unter die Nase reiben, sondern sie sollen angeregt werden für ihre eigene Imagination. Deshalb wähle ich oft andere Formate. Bei der letzten Performance haben wir Leute in einen Raum gesetzt mit einer grossen Fensterscheibe. Sie schauten hinaus in ein typisches Schweizer Quartierli, und wir sind dann als Performer reingekommen und haben die Umgebung gewissermassen zu stören begonnen. Gleichzeitig fand innen ein Konzert statt, experimentelle elektronische Musik mit Kerzenlicht und Bändern, die in einem Loop liefen. Das ergab zusammen eine Art cinematographischen Effekt. Die Leute schauten wie einen Film. Und ich glaube, in diesem Film drin ist den Leuten die scheinbare Normalität in diesem Quartier in einem anderen Licht erschienen. Solche Dinge interessieren mich sehr!

 

Nehmen wir mal an, du würdest morgen mit etwas ganz Neuem beginnen. Was ist für dich dann die treibende Kraft dahinter, damit es fertig wird? Dafür braucht es sicher einmal Disziplin, da sind wir uns in unseren jeweiligen Sparten ja wahrscheinlich einig. Aber es muss da wohl noch etwas anderes geben, das einen antreibt, damit man wirklich dranbleibt. Gibt es das für dich auch, so eine Kraft, oder ein Thema?

(überlegt). Meistens geht es nicht, ohne dass man es zeigt, vor Publikum. Ich mag kleinere Schwellen, kleinere Auftritte vorher. Erstens ist für mich ein Werk fast nie fertig, man zeigt mal eine erste Etappe und merkt, es geht weiter, etwas hat Fragen aufgeworfen, oder etwas hat nicht funktioniert. Solche Arbeiten hinter Glas zum Beispiel mache ich seit sieben Jahren. Fertig ist es nie. Die Situation, dass man etwas zeigt, wo Leute teilnehmen, ist wichtig. Das ist immer so ein Checkpoint. Wenn es gut geht, war die generelle Richtung gut. Und sonst ist halt pivot angesagt!

 

Interessant, dass du grad dieses Wort brauchst: pivot! Das ist doch so ein Start-up-Begriff.

Stimmt!

 

Kommt das für dich aus der Kunstszene, oder hast du es aus der Start-up-Welt übernommen?

Nein, ich glaube, ich habe einfach die Sprache aus dieser Kultur übernommen. Als ich die Start-up-Szene kennengelernt habe, habe ich gemerkt: das beschreibt ja einfach das künstlerische Schaffen! Es ist genau so, wie ich arbeite, halt einfach mit lauter englischen Ausdrücken! (lacht).

 

Ich pivotiere jetzt auch – du kennst diese Welt ja gut. Wie kam es dazu?

Ich hatte immer zwei Leidenschaften. Und habe sie heute auch noch. Das eine war immer das künstlerische, musikalische, tänzerische. Und das andere waren immer die sozialen, gesellschaftlichen Fragen. Insbesondere die kulturellen Fragen. Weil ich selber mit einem anderem kulturellen Hintergrund aufgewachsen bin, hat es mich immer fasziniert, Übersetzerin zu sein. Deshalb kam ich beruflich nach dem Soziologiestudium rasch in die Migrationswelt rein. Ich habe mit Migrant*innen gearbeitet, und später auch mit Geflüchteten. Nach einigen Jahren in der NGO-Welt habe ich mich bei den Powercoders beworben, einem Job-Integrationsprogramm für IT-affine Geflüchtete, und habe dann die soziale Leitung für das PIlotprojekt dazu übernommen, das im Effinger stattfand. Da war ich völlig beschwingt und happy! Die Effizienz und Schnelligkeit haben mich sehr beeindruckt. Die Agilität. Schnell etwas ändern zu können. Damals hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, dass die beiden Welten langsam zusammen kommen. Die künstlerische Welt und die des sozialen Engagements sind seither nicht mehr so weit voneinander entfernt, wenigstens vom Mindset her.

 

Und nun zurück zu heute: aktuell widmest du dich voll dem Tanz. Was passiert im Moment mit deiner anderen Leidenschaft?

Die darf im Moment ein bisschen ruhen (lacht). Sie war lange sehr treibend. Natürlich hat sie auch das Geld reingebracht! Mich nimmt es jetzt wunder, was das mit mir macht. Ich glaube, auf längere Zeit bin ich nicht sehr happy, nur in einer Art-Bubble zu sein, wo man einfach Kunst für sich macht, Kunst für die Kunst. Ich glaube, ein Teil von mir will das aber sehr als Motor beibehalten. Ich merke jetzt, es gibt einen Teil in mir, der möchte, dass die Kunst unangetastet bleibt. Sie soll nicht immer angewendet werden müssen, oder nur schon übersetzt werden. Der andere Teil wird aber kommen. Er ist eigentlich schon ein bisschen da, ich habe schon Ideen. Ich könnte zum Beispiel eine Art Soziokratie-Spiel entwickeln, wo gesellschaftliche Themen diskutiert werden – wo es aber eigentlich um eine Kunstperformance geht. So etwas schwebt mir vor. Da würde ich unter anderem dann gerne auf dich zukommen.

 

Ok! sehr gern! 

(lacht)

 

Du widmest dich aktuell dem Movement Research. Ist dein Geist davon komplett absorbiert? Oder liest du auch die Zeitung, und es beschäftigen dich grosse Fragen? Was bewegt dich gerade? Oder ist das im Moment eher im Hintergrund?

Es geht bei mir eigentlich nie nur um Ästhetik, oder eine künstlerische Form. Es ist meistens etwas dahinter.  Bei der aktuellen Recherche zeigt sich langsam ein Thema. Es geht darum, was mit uns passiert, wenn wir in der digitalen Welt unterwegs sind. Was passiert mit unserer Identität, mit Freiheit, mit Entkörperlichung, all die Riesenthemen halt! Es wird sich natürlich noch schärfen müssen. Das kommt jetzt langsam.

 

Treibst du eine solche Suche dann gezielt voran, mit Büchern, oder dem Internet?

Ja, schon. Irgendwann entwickelt sich eine Frage, und ich fange ein bisschen zu surfen an, weil ich davon ausgehe, dass da schon mal jemand etwas Gescheites dazu gesagt hat. Aber ich mache dann nicht ein intensives Studium. Ich gehe das künstlerisch an, und würfle Sachen zusammen, die vielleicht gar nicht zusammengehören. Ich schnappe alles auf, was mich inspiriert. Per Zufall bin ich zum Beispiel neulich auf den Begriff „digital twin“ gestolpert, ein Begriff dafür, wie etwas simuliert wird, damit man es eingehend testen kann. In den Begriff hab ich mich einfach grad verliebt. Das hat grad mega gepasst. Ich werde dem jetzt noch ein bisschen nachgehen. 

 

Wir haben gemeinsam ein kleines Stückli Musik gemacht. Mich hat dein Schnipsel, den du mir eingeschickt hast, sehr berührt. Ich habe es als sehr indisch gehört. Als wäre bei dir eine Schublade aufgegangen. Stimmt das für dich, wenn ich das so sage?

Eigentlich schon. Obwohl ich da natürlich improvisere, und es eigentlich gar nicht so in diese indische Schublade gehört. Und wahrscheinlich nur hier, in diesem Kontext, so tönt. Der indische Teil gehört natürlich eindeutig zu mir. Aber er lebt nur dann auf, wenn Indien zuvorderst ist, und ist nicht verwoben mit dem Rest.

 

Würdest du dir wünschen, dass er das wäre?

Das ist schon ein Wunsch von mir. Auf allen Ebenen würde ich mir wünschen, dass das Indische mehr Platz hat. Bei der letzten Movement Research habe ich deshalb indische Musik laufen lassen. Ich weiss noch nicht genau, was das dann mit mir macht. Aber es ist eine Suche von mir.

 

Was denkst du – was bewirkt, dass das Indische für dich so separat bleibt?

Weil ich darin alleine bin. Ich schaue manchmal ganz neidisch auf die tamilische Diaspora, weil ich denke, die können sich dort gegenseitig in diesem Kulturclash unterstützen. Ich habe das nicht, ich bin allein. Ich habe einfach meine Schwester, und eine Kollegin in Deutschland, die Halbdeutsche und Halbinderin ist, die ich aber nur selten sehe.

 

Fühlt es sich so an, als müsstest du diesen Teil von dir zurückhalten? Weil er nicht verstanden würde, oder toleriert?

ich glaube nicht. Ich glaube, ich dürfte meine persönliche Buntheit mehr reinbringen, aber ich weiss nicht wie. Ich glaube, das kann man nur im Zusammensein von anderen, die in einem ähnlichen Prozess drin sin. Ich stehe mir das bei jedem marginalen Merkmal so vor. Die gemeinsame Realität, der Austausch ergeben sich erst im Zusammensein mit anderen. 

 

Könnte es in einem Coworkingspace, wo grundsätzlich die Vielfalt gelebt werden soll, möglich sein, dass ein solcher Ort des Austausches entsteht?

Ich weiss es nicht. Ich glaube, die Leute können noch so offen sein. Aber wenn alle weiss und zwischen 30 und 40 sind, und wohlhabend, ist es einfach homogen, und es kann nicht viel Diversität stattfinden. Die ersten paar Male, wo ich mit jemandem aus der Startup-Szene darüber gesprochen habe, mit wie wenig Geld wir durchs Leben kommen, sind die alle fast „hinenuse“ gefallen (lacht). Wenn ich in Städten mit höherer Diversität unterwegs bin, nur schon kulturell, zum Beispiel in gewissen Teilen der USA, oder in London, merke ich immer, wie mir ein Stein vom Herzen fällt, wie ich mich leicht fühle. Voller und ganzheitlicher. Und wie auch der indische Teil in mir mehr zum Zug kommt, ohne dass er explizit angesprochen oder zum Thema wird.

 

Ganz klar – dieses Gespräch ist noch lange nicht zu Ende... Ich freue mich sehr darauf, es weiterzuführen. Und Dinge zu lernen. Über Sunita, über Tanz, über Start Ups, über kunstbasierte Methoden, wie sie sie nennt und anwendet, über ihre Geschichte, und auch über mich selber.

 

www.sunitaasnani.com