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#28 The Day Is Almost Done (feat. Nayan Stalder)

Nayan Stalders Hauptinstrument ist das Hackbrett. Darauf spielt er jede Art von Musik, sagt er – vom Ländler bis zum Elektropop. Er hat an der Hochschule Luzern einen Bachelor in Volksmusik gemacht und beschäftigt sich in seinem Master of Arts in Jazz Performance an der Hochschule der Künste Bern unter anderem gerade intensiv mit Bebop. Ein breites Spektrum also! Ich habe ihm mein Stück „The Day Is Almost Done“ gegeben, das ich Ende 2016 als mehrstimmiges Chorstück geschrieben hatte. Ich hatte dabei ursprünglich an den mittleren Westen der USA gedacht, an Berge und Weiten, und war nun sehr gespannt zu hören, was Nayan mit seinem alpenländischen Instrument damit machen würde. Er setzte die einfache diatonische Melodie sehr sparsam und einfühlsam um.

 

Nayan, wie bist du zum Hackbrett gekommen?

Das war eigentlich ein Zufall (lacht). Ich habe es als etwa Achtjähriger an einem Konzert zum ersten Mal gesehen. Meine Mutter sang im Chor, und im Orchester war ein Hackbrett dabei. Und kurz später sah ich es bei einer Strassenmusikgruppe in Bern, die rumänische oder ungarische Volksmusik gespielt hat. Dort hat es mich dann so richtig gepackt, weil ich germerkt habe, was für coole Sachen man damit machen kann, und wie vielfältig es ist. Von da an war für mich klar, dass ich Hackbrett spielen lernen wollte! Wir hatten dann das Glück, dass wir ziemlich in der Nähe jemanden fanden, der Hackbretter baute und auch unterrichtete.

 

Du spielst also Hackbrett, seit du acht Jahre alt bist?

So mit 9 habe ich dann begonnen, ja.

 

Gab es einmal eine Phase als du dir überlegt hast, auf Schlagzeug oder Gitarre umzusteigen?

Nein, nicht wirklich.

 

Liebe auf den ersten Blick also.

Das kann man so sagen! Es lief allerdings lange einfach nebenbei, ich hatte noch viele andere Hobbys und habe mir lange auch nicht überlegt, die Musik als Beruf oder als Berufung zu verfolgen.

 

Und wie kam es, dass du dich doch dafür entschieden hast?

Auch das war eher ein Zufall (lacht wieder). Es war für mich deshalb keine Option, weil ich gar nicht wusste, dass man Hackbrett studieren kann. Den Volksmusik-Studiengang in Luzern gibt es ja erst seit ungefähr zehn Jahren. Jemand hat mich plötzlich gefragt, ob ich davon wüsste – er habe es im Radio gehört. Da kam der Gedanke auf, warum eigentlich nicht. Mehr aus Spass, um einmal zu schauen, wie es wäre, habe ich die Prüfung fürs Vorstudium gemacht. Und dann habe ich angefangen und quasi nie einfach nicht mehr aufgehört. Und heute könnte ich mir nichts anderes mehr vorstellen.

 

Welchen Stellenwert hatte die Volksmusik vor dem Studium in deinem Leben?

Es kommt auf die Volksmusik an. Zu Schweizer Volksmusik hatte ich eigentlich überhaupt keinen Bezug. Ein bisschen natürlich durch das Instrument, und durch meinen Lehrer, da habe ich schon ab und zu mal einen Ländler oder einen Walzer gespielt. Es hat mich aber nicht sehr interessiert. Ich habe als Kind sehr gern irische Volksmusik gespielt, und Stücke aus dem Balkan.

 

In der Hackbrettstunde hast du also eher Volksmusik aus anderen Ländern gespielt.

Ja. Oder sehr breit gemischt jedenfalls. Ich habe auch viel Geigenliteratur gespielt, weil sie vom Range her recht gut geeignet ist. Zum Teil auch Klavieradaptionen, zweistimmige Interventionen zum Beispiel. Zuhause haben wir sehr viel Barockmusik gemacht, weil meine Schwester Blockflöte spielte und mein Bruder Klavier und Cembalo.

 

Und dann hast du also zu studieren begonnen. Der Studiengang nennt sich ja „Volksmusik“ – ich gehe davon aus, dass damit Schweizer Volksmusik gemeint ist?

Genau, der Hauptfokus liegt eigentlich auf alpenländischer Volksmusik.

 

War das für dich damals musikalisch eine neue Welt?

Bis zum Studium habe ich gedacht, ich mache jetzt da schon ein bisschen mit und verfolge dann trotzdem mein eigenes Ding. Als ich aber die anderen Studierenden kennen gelernt habe, und die Dozent*innen, die über ein so enormes Wissen verfügen, habe ich gemerkt, wie breit das Feld überhaupt ist, und dass Schweizer Volksmusik nicht nur das ist, was man auf der Musikwelle im Radio hört. Mittlerweile spiele ich sie sehr gern. Ich habe sehr den Zugang zu älterer Schweizer Musik gefunden, also alles vor dem 20. Jahrhundert. Auch Tanzmusik mache ich gerne ab und zu, ich spiele es gern mal an einer Stubete. Es gibt sehr coole Ländler!

 

Schweizer Volksmusik ist politisch ziemlich vereinnahmt worden, jedenfalls so wie ich das wahrnehme. Wie siehst du das?

Das ist eine schwierige Frage. Klar, die Volksmusik wurde zu einem gewissen Zeitpunkt politisch instrumentalisiert und das ist auch heute noch spürbar. Und ich denke, gerade die Volksmusik läuft immer Gefahr, von Leuten mit nationalistischem und konservativem Gedankengut vereinnahmt zu werden, da sie wohl als etwas betrachtet wird, das bewahrt werden muss. Was natürlich überhaupt nicht stimmt – wenn man sich damit beschäftigt, merkt man, dass sich die Musik ständig verändert hat und von musikalischen Einflüssen aus der ganzen Welt getränkt ist. In der Schweiz waren zum Beispiel immer Fahrende unterwegs, die die Musik extrem beeinflusst haben. Ich beobachte aber, dass es für die Volksmusiker*innen selber eigentlich kein grosses Thema ist. Man will einfach Musik machen. Und auch die Musik an sich ist ja überhaupt nicht politisch, es ist Tanzmusik, Unterhaltungsmusik. Zum Teil auch Kunstmusik, aber sie hat selten den Anspruch, ein politisches Statement abgeben zu wollen. Für mich ist es unterdessen nicht mehr ein grosses Politikum. Die Musik wird manchmal dafür genutzt, aber es dünkt mich auch, die Stigmatisierung der Volksmusik bricht immer mehr auf. Es gibt ja all die Festivals, die Stubete am See, das Alpentöne-Festival, die von einem sehr gemischten Publikum besucht werden. Und ich beobachte auch bei meinen Schüler*innen, dass sie einen sehr unkomplizierten Umgang mit der Schweizer Volksmusik haben. Für sie ist einfach Musik, wie jede andere auch.

 

Kam es einmal vor, dass du an einer Stubete gedacht hast: mit dem hier anwesenden Publikum möchte ich lieber nicht über politische Themen sprechen?

Es gab sicher Momente, wo ich an Stubeten gespielt habe vor einem Publikum, das politisch wohl ganz anderer Meinung war. Was ja nicht heisst, dass ich deswegen nicht mit ihnen sprechen möchte. Gerade dann sollte man doch miteinander reden! 

 

Genau. Das ist doch das Interessante. Man studiert in Luzern und spielt später an einer Stubete, und plötzlich mischen sich die vorher eher getrennten Welten.

Ja, sicher. Dadurch können sicher gewisse Dinge durchbrochen werden. 

 

Was beschäftigt dich im Moment musikalisch besonders?

Im Moment bin ich durch den Jazz-Master auf der Suche danach, wie ein Hackbrett im Jazz klingen kann. Ich transkribiere extrem viele Bebop-Solos und versuche die Bebopsprache auf das Hackbrett zu übertragen. Und gleichzeitig bin ich auch an der elektronischen Erweiterung dran. Ich arbeite zunehmend mit Effektgeräten, mit Ableton Live, und so weiter.

 

Gibt es jemanden, der das schon macht? Hast du ein Vorbild?

Nein. Gerade was den Jazz angeht, also wirklich den traditionellen Jazz, kenne ich niemanden. Und in Sachen Elektronik gibt es auch nur ein paar wenige Leute. Es gab gibt in der Ostschweiz ein Duo, ein DJ und ein Hackbrettspieler, also mehr in Richtung Clubmusik. Und sonst ist es auch ein unbeschriebenes Blatt.

 

Bist du ein Pioniertyp?

Nein, eigentlich nicht. Ich mache einfach, worauf ich Lust habe. Wenn dabei etwas Neues entsteht, ist das toll. Aber es ist jetzt nicht mein Anspruch Pionierarbeit zu leisten. 

 

Fast zum Schluss eine provokative Frage. Fühlst du dich mehr als Schweizer, seit du Schweizer Volksmusik spielst?

Nein, überhaupt nicht. Wenn, dann müsste man zuerst die Frage stellen klären, was es überhaupt bedeutet, ein Schweizer zu sein. Wenn du damit meinst, ob ich mich mehr wie ein "Eidgenosse" fühle? Dann sicher nicht (lacht). Nein, wirklich nicht. Ich finde eher, je mehr Musik man macht, umso offener wird man für alles andere. Und das wiederum könnte dann schon ja auch etwas Schweizerisches sein, nicht?

 

Das wäre auf jeden Fall schön!

Und ganz zum Schluss eine auch nicht ganz einfache Frage – wie läuft es coronabedingt mit deinen verschiedenen Bands?

Wir haben mit mehreren Bands besprochen, wie wir weiterfahren möchten, und ob wir vielleicht ein neues Album aufnehmen sollen. Mit zweien haben wir aber gerade je ein neues Album gemacht und es noch nicht einmal touren können, deshalb fällt auch das jetzt weg. Es läuft also unterschiedlich. Mit einigen Projekten sind wir fleissig am Weiterproben und können die Zeit gut nutzen und bei anderen ist grad ein bisschen die Luft raus. Die ständige Unsicherheit, ob und wann es wieder weitergeht zehrt an den Kräften. Ich spüre langsam eine gewisse Müdigkeit bei vielen Menschen. Im ersten Lockdown waren alle recht entspannt. Es war eigentlich auch spannend, für mich auch, so etwas hatte noch niemand erlebt. Unterdessen sind viele erschöpft. Es ist jetzt wichtig, dass wir aufeinander schauen. Dass man sich Zeit nimmt füreinander, im Gespräch bleibt und es merkt, wenn jemand gerade ein bisschen Unterstützung braucht. 

 

www.nayanstalder.com

 

Zwei von Nayans zahlreichen Projekten:

www.viertaktmotor.ch – Quartett, das die Grenzen der Volksmusik ausloten möchte – "von Fern- und Heimweh getrieben"

www.silberen.ch – "unbequeme, archaische Volksmusik"

 

Nayan unterrichtet Hackbrett an den Musikschulen Köniz und Zollikofen-Bremgarten.