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#33 Fagus Sylvatica

Urs Minder ist seit 33 Jahren Förster im Waldgebiet rund um meinen Wohnort – „i bi scho fei e chli es Fossil“, wie er selber sagt. Er hat sich viel Zeit genommen für einen für mich sehr lehrreichen Spaziergang durch ein Waldstück, das ich im ersten Coronalockdown ziemlich gut kennen gelernt habe. Vier Dinge sind mir während des Gesprächs klargeworden:

 

  • Im Wald läuft die Zeit anders
  • Der Wald braucht den Menschen nicht
  • Der Mensch macht sich den Wald zunütze – für Rohstoffe und zur Erholung
  • Der Wald darf, ja muss, unordentlich aussehen

Urs, wie hat sich der Wald verändert, seit du in den Beruf eingestiegen bist?

Es ist nicht so gewaltig, wie man meinen könnte. 33 Jahre sind für einen Wald eine kurze Zeit. Es gibt Waldstücke, die sehen immer noch genau gleich aus wie vor 30 Jahren – die Bäume sind halt etwas älter, aber das sieht man kaum. Diese Buche hier (tätschelt einen Baumstamm), die war vor dreissig Jahren einfach ein bisschen dünner. Andere Waldstücke haben sich wegen eines Naturereignisses stark verändert, wegen Stürmen wie Lothar oder Burglind zum Beispiel. Diese führen zu massiven Borkenkäferbefällen, und es müssen dann manchmal auch gesunde, grosse Bäume geholzt werden.

 

Für uns ist ein Jahr eine sehr lange Zeit – wie zum Beispiel so ein Coronajahr. Und im Wald sieht man ein Jahr kaum. Hat das auch etwas Beruhigendes?

Ja, schon. Für mich ist es auch ein Zeichen dafür, dass wir uns nicht zu viel anmassen sollten. Wir, die wir hier im Wald arbeiten, oder sonst irgendwo in der Natur. Wir sagen bei uns in der Forstwirtschaft, wir müssten den Wald jetzt fit machen für den Klimawandel. Es ist sicher richtig, dass man darauf schaut, und die Veränderungen im Auge hat, gerade dort, wo man Bäume pflanzt. Aber für die Natur ist es keine Katastrophe, wenn ein Sturm kommt und der Wald am Boden ist. Er regeneriert sich in fünfzig bis hundert Jahren. Aber es ist halt so, dass wir den Wald nutzen wollen. 

 

Findest du das nicht unbedingt gut, dass wir den Wald nutzen?

Doch, es ist schon legitim. Der Wald ist ja da – und der Rohstoff wächst nach. Aber man muss einfach wissen, dass wir die Pflege des Waldes einfach deshalb machen, weil wir Anforderungen an ihn stellen. Wir wollen den Rohstoff, das Holz. Obwohl die Holzpreise im Moment so tief sind, dass es sich für die Waldbesitzer kaum lohnt. Zudem möchten wir uns im Wald erholen. Oder wir brauchen ihn als Schutz, vor Lawinen zum Beispiel.

 

Ist der Klimawandel auch in der Forstwirtschaft in aller Munde?

Ja. manchmal fast ein bisschen zu stark. Als ich angefangen habe, hat man vom Waldsterben gesprochen. Schon damals kam der Bundesrat in den Wald und hat besorgt gesagt, es sehe schlecht aus. Ich habe mich schon damals ein bisschen gewundert. Und irgendwann hat man gemerkt, dass der Wald doch nicht stirbt. Was den Klimawandel betrifft, stütze ich mich einfach auf die Aussagen der Wissenschaft – für mich ist es nicht so dramatisch, auf den Wald bezogen. Da ist für mich noch wenig zu erkennen, die Zeitdauer ist zu kurz. Natürlich, der Klimawandel hat eine andere, grössere Dimension. Aber wir müssen jetzt auch ein bisschen aufpassen. Wenn wir jeden Tag davon reden, ist es vielleicht in ein paar Jahren nicht mehr interessant, und dann sind wir im Wald wieder die Einzigen, die mit dem Thema arbeiten. 

Gibt es Tätigkeiten im Wald, die sich aufgrund des Klimawandels verändert haben?

Wir können dort Einfluss nehmen, wo es um Baumarten geht. In einem jungen Wald schauen wir darauf, dass wir Baumarten wählen, von denen wir ausgehen, dass sie besser dafür gerüstet sind, wenn es wärmer wird in den nächsten fünfzig Jahren. Dann schauern wir, dass Eichen wachsen und Kirschbäume, und pflanzen weniger Fichten oder Eschen. Diese Entscheidungen fällen wir jetzt – und sie verändern den Wald eindeutig. Bei den Bäumen, die 70, 80, oder 100jährig sind, können wir natürlich nichts verändern. Die bleiben jetzt noch fünfzig Jahre - oder vielleicht auch 100. Wir fällen jetzt keine Fichten, weil wir denken, die haben bald zu warm. Wir murcksen nicht, bevor es Zeit ist.

 

Wenn ich dich richtig verstehe, machst du dir Gedanken, ob es richtig ist, jetzt schon einzugreifen.

Ja. Aber das ist jetzt vielleicht eher meine persönliche Meinung. Bei grossen Waldstücken, wo man nach einem Käferbefall alles holzen muss, bin ich schon auch der Meinung, dass man langfristig denkt, und sich für Baumarten entscheidet, die robuster sind. 

 

Soviel ich weiss, lässt man heute viel mehr Äste und Kleinholz liegen, weil sie Tieren als Schutz dienen, und dem Waldboden guttun. Stimmt das?

Genau. Eigentlich könnte man den Wald machen lassen. Aber es ist halt so, dass wir den Wald seit dem Mittelalter stark nutzen. Lange hat man ihn übernutzt, weil man das Holz zum Heizen brauchte. Bis in die 50er, 60er Jahre hat man wirklich alles Holz gebraucht, auch kleine Äste und Tannzapfen wurden gesammelt. Dadurch war der Wald immer picobello aufgeräumt Bei unseren Vätern und Grossvätern hat sich dadurch das Bild des sehr sauberen Waldes eingeprägt. Obwohl das nicht nötig gewesen wäre, und auch für die Natur nicht unbedingt gut war. Man hat dem Boden alles, was sonst verfault wäre, entzogen. Dadurch wurden die Böden mager. Es gab eine eine Phase, wo die Waldbesitzer sogar das Holz, das sie nicht brauchten, im Wald verbrannt haben, weil sonst der Nachbar gekommen wäre und gesagt hätte: du, du hast ja eine Sauerei im Wald. Es gibt heute immer noch Leute, die zu mir kommen und fragen, warum sieht das hier so unordentlich aus, räumt da niemand auf?

 

Woher kommt bei dir die Faszination für den Wald?

Ich komme von einem Bauernbetrieb, wo wir viel Wald haben. Da holzte man jeden Winter. Der Wald war einfach dafür da, dass man holzen geht, damit man heizen kann – und das bessere Holz hat man verkauft. Es war einfach ein Teil des bäuerlichen Erwerbslebens. Deshalb bin ich da wohl ein bisschen reingerutscht - eigentlich mehr von der praktischen Seite her. Ich merke in meinem Beruf, dass man relativ lange bleibt. Ich habe einige Berufskollegen, die ihr ganzes Berufsleben am gleichen Ort verbracht haben. Das ergibt sich vielleicht deshalb, weil auch der Wald etwas Langlebiges ist. 

 

Kommt es vor dass du im Wald bist und denkst, könnte ich doch ins Büro?

Bürozeit habe ich schon, bei mir sind es etwa 30%. Aber ich kann es mir sehr flexibel einteilen, und habe das Büro zuhause. Es kommt aber sehr selten vor, dass ich den ganzen Tag vor dem Computer sitze. Das fällt mir dann schon schwer.

 

Du sagst, es war eher eine pragmatische Entscheidung, Förster zu werden. Hast du jetzt einen Bezug zum Wald? Bedeutet es dir etwas, in den Wald zu gehen, zum Beispiel nach den Ferien?

Ja, das schon. Ich bin auch privat gerne im Wald, absolut. Vielleicht eher in Wäldern, in denen ich sonst nicht so tätig bin. Das muss ich fast, um ein bisschen Distanz zu haben. Wenn ich am Sonntag in Köniz durch den Wald laufe, dann sehe ich immer Spuren von meiner Arbeit. Das wäre für jemand anderes so, als würde er durch sein Büro spazieren (lacht). Dann gehe ich eher auf den Gurnigel, oder ins Seeland. Schon in den Wald, aber nicht dort, wo ich sonst immer bin.

 

Handkehrum denkst du dann wahrscheinlich in den anderen Wäldern, der hat das noch vergessen, oder die sollte das noch machen…

…genau, oder der hat das gleiche Problem auch (lacht).

 

In der Coronazeit waren bestimmt viel mehr Leute im Wald, auch hier. 

Das hat man schon so erlebt, ja. Es hat klar zugenommen.

 

Was ist wichtig im Wald, möchtest du mir ein paar Verhaltensregeln mitgeben?

Wenn man von der Tierwelt her schaut, ist es sicher besser, wenn man auf den Wegen bleibt. Für den Wald spielt es keine Rolle, wenn man kreuz und quer geht, als Fussgänger macht man keine Schäden. Aber es ist halt immer eine Störung für die Tiere, gerade im Winter. Und es sicher gut, wenn man immer daran denkt, dass man Gast ist. Einerseits Gast der Natur, andererseits aber auch des Waldbesitzers. Dass man keine Bäume beschädigt, mit Waldhütten zum Beispiel. Dass man den Abfall wieder mitnimmt. Und dass man beim Biken auf den offiziellen Bikepisten fährt. Grundsätzlich sind all die kleinen Wege hier im Wald, die beim Biken entstanden sind, illegal. Viele wissen das nicht. Aber die allermeisten Leute halten sich sehr gut an die Wege.

 

Unterdessen sind wir wieder am Waldrand angelangt. Urs Minder zeigt mir einen Baum. Er sei schon vor ein paar Jahren abgestorben, sagt er. Der Baum ist von Pilzen überwachsen, zum Teil sind sie schon sehr gross. Er steht etwa zwei Meter vom offiziellen Wanderweg entfernt.

 

Muss dieser Baum gefällt werden?

Irgendeinmal bricht der. Bricht der Giebel ab, wenn wir darunter stehen, sind wir nicht wohl. Es ist wieder ein Konflikt: es geht nämlich nur um die Sicherheit des Menschen. Dem Wald zuliebe müsste man den nicht fällen, der ist wertvoll und voller Tiere. Sicher hat sich auch der Specht eingerichtet. Aber er ist für den Menschen ein Risiko, weil er so nah am Weg steht.

 

Da fragt man sich schon, was sich der Mensch eigentlich anmasst.

Ja genau, es braucht den Menschen nicht (lacht). Der Wald braucht uns nicht, glaube ich. Das ist jetzt ein bisschen meine persönliche Meinung. Uns Förster braucht es einfach deshalb, weil wir Interessen am Wald haben, wegen der Rohstoffe und der Wohlfahrt. Der Wald, die Natur, pflegen sich selber.