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#36 Sunita's Piece (Remix) feat. Simon Spiess aka Late Bloom

In den letzten ein, zwei Jahren haben sich fast alle Jazzmusiker*innen, die ich kenne, plötzlich Synthesizer angeschafft. Oder sie haben angefangen, ihren Alben eine Produktionsnote zu geben, ihre Aufnahmen also noch nachzubearbeiten und zu verfremden. Womöglich liegt da also etwas in der Luft, vielleicht noch beschleunigt durch Corona. Der Oltner Saxophonist Simon Spiess ist da schon einen Schritt weiter – er hat sich ein zweites musikalisches Standbein als Elektronik- oder Ambient-Musiker aufgebaut und unter dem Alter Ego Late Bloom bereits mehrere Alben veröffentlicht. Ich habe ihn gefragt, ob er eine Vignette von vor ein paar Wochen in seine zahlreichen Gerätschaften speisen und daraus etwas ganz Neues basteln würde. Das hat er getan – und einen neunminütigen Trip kreiert, der sich definitiv anzuhören lohnt, besonders wenn man, wie ich, solche Musik noch überhaupt nicht gut kennt!

 

Das Original... eine Stimmaufnahme von Sunita Asnani, die sich mit der App "Chordion" begleitet, und ein Flügel. Das Interview mit Sunita, die hauptberuflich als Tanzschaffende unterwegs ist, findet sich hier


 

Die Coronazeit hat alles auf den Kopf gestellt. Hat sich für dich auch musikalisch im letzten Jahr etwas verändert?

Der Lockdown und die Geburt meiner Tochter fielen genau zusammen. Für mich hat sich also extrem viel verändert (lacht). Es fühlt sich an, als wäre meine ganze Frequenz runtergegangen, von hoch und aufgeregt zu ruhiger und entspannter. Es ist sicher natürlich, dass man dieses „Hyperige“ verliert, wenn man ein Kind bekommt. Und ganz allgemein, oder musikalisch gesehen, ist e sicher eine reinigende Zeit. Ich habe zum Beispiel gemerkt, dass ich mich nicht mehr im gleichen Zyklus bewegen möchte wie vorher. Seit zehn Jahren verfolge ich das Schema „Album einspielen und dann damit auf Tournee“, und wieder von vorne. Immer auf die gleiche Art. Das möchte ich nicht mehr. 

 

Weshalb?

Weil es eine Repetition ist, und nichts Frisches von mir verlangt. Es ist einfach Routine. Das Musik machen an sich nicht, und die Projekte auch nicht. Aber der ganze Zyklus repetiert sich halt immer. Das muss nicht unbedingt schlecht sein. Aber ich spüre einfach, dass ich das in dieser Form nicht mehr möchte.

Hast du schon eine Idee, wie es weitergehen könnte?

Nein, noch nicht… obwohl, ein bisschen habe ich schon damit begonnen. Ich habe mich ein bisschen distanziert von diesem Jazzmusikerding. Ich übe zwar immer noch jeden Tag Saxophon, es ist wie Meditation für mich. Ich fühle mich im Jazz immer noch zuhause, aber ich habe auch andere Musik entdeckt. Es war einfach ein altes Bild von mir, das ich immer mitgetragen habe – ich, der Jazzmusiker! Dabei interessiere ich mich schon seit Jahren auch für andere Musik, habe es aber nie wirklich verfolgt, weil ich fürchtete, dass es zu viel Zeit vom Saxophon wegnehmen könnte. Die Zeit hat mir also eigentlich sehr gut getan.

 

Dein Interesse an elektronischer Musik – fiel das auch mit dieser Zeit zusammen? Oder kam das schon früher?

Das fing schon eine Weile vorher an. Es begann vor ein paar Jahren mit der Verfremdung des Saxophons, damals noch auf ganz einfacher Basis, mit zwei, drei Effekten. Durch coole Videos auf Instagram bin ich dann auf Gitarreneffekte gestossen, und dadurch dann auch in die Synth-Geschichte reingerutscht. Das hat mich völlig verschlungen! Ich habe Stunden damit verbracht, Synthesizer auszuchecken, und meine Stimme darin zu suchen.

 

Fühlst du dich nun manchmal zerrissen – zwischen dem Saxophon und den Synths?

Es ist einfach ganz anders. Bei der elektronischen Musik interagiere ich nur mit mir selber, und wenn ich Saxophon spiele, mit meinem Umfeld, mit einer Band.

Könntest du dir auch vorstellen, beides zusammenzubringen? Zum Beispiel auf einer Bühne Synthesizer zu spielen und mit anderen zu interagieren?

Ja, daran bin ich sehr interessiert, und habe es auch schon ein paarmal gemacht. Es ist einfach ein ganz anderes Interagieren. Was die elektronische Musik betrifft, würde ich aber am liebsten mit anderen Kunstschaffenden zusammenarbeiten, mit Tänzer*innen zum Beispiel. Das fände ich sehr interessant. 

 

Du würdest also bei der elektronischen Musik eher das Transdiziplinäre suchen?

Ja, genau. Für meine Konzertreihe Labohr in Olten habe ich übrigens vermehrt auch Synths mitgebracht. Ich fühle mich da schon zunehmend zuhause.

 

Für eine der letzten Labohr-Veranstaltungen hast du einmal auch den Jazz- und Elektronikmusiker Bruno Spoerri eingeladen, oder?

Genau, das war mega toll!

 

Er ist wahrscheinlich recht ähnlich wie du – vom Jazz geprägt und gleichzeitig an der elektronischen Musik interessiert?

Ja! Er ist ein grosses Vorbild. Er interessiert sich wirklich für die genau gleichen Sachen. Er ist sehr offen, und gleichzeitig pflegt er auch die Tradition des Jazz sehr stark. Ich finde, wenn man sich für zwei Dinge interessiert, sollte man beide sehr intensiv verfolgen. Sonst ist es vielleicht besser, wenn man sich nur für eines entscheidet. Und er macht das definitiv.

 

Nehmen wir einmal an, du hättest unbegrenzte Geld- und Zeitressourcen. Was wäre dein liebstes musikalisches Projekt?

Ich würde mir ein unglaublich schönes Studio bauen, wo ich das Setup habe, das ich mir erarbeitet habe – einerseits mit meinen Saxophonen und andererseits mit meinen Synths. Ich habe im Lockdown gemerkt, dass ich auch mega gerne einfach für mich Musik mache tagsüber, diese langen Drones. Die beflügeln mich sehr. Ich dachte immer, mein Leben müsse auf einer Bühne stattfinden. Aber ich habe gemerkt, dass ich schon mega glücklich bin, wenn ich einfach nur Musik machen kann. Ich würde mir also einen Soundtempel bauen (lacht), wo ich einfach darin arbeiten kann, allein und mit anderen.

 

Du könntest doch Drone-Unterricht anbieten. Beruhigende Musik für Körper, Geist und Seele!

Stimmt, das muss ich mir überlegen! Gute Idee (lacht). Ich glaube, das würde auch vielen Kids sehr gut tun. Und Erwachsenen auch. Mit meiner Tochter zum Beispiel mache ich das ziemlich aktiv. Ich mache mit ihr jeden Tag ein bisschen Musik.

 

Das Stück, das ich dir gegeben habe – das war ja ein spontaner Songschnipsel von Sunita. Der ist mir irgendwie direkt ins Herz gegangen. 

Mir auch. Einfach deshalb, weil er mega ehrlich ist, glaube ich. Mir fällt allgemein immer mehr auf, wie stark wir als Musiker*innen unsere Arbeit perfektionieren, und dabei manchmal das Wichtigste ausser Acht lassen. Gestern habe ich ein Video gesehen vom Saxophonisten Archie Shepp, der einen ganz speziellen Ansatz hat. Er hält das Mundstück nicht mit den Zähnen, nur mit den Lippen. Er hat eigentlich eine sehr schlechte Intonation – aber wenn er spielt, ist es so wundervoll, und seine musikalischen Aussagen gehen auch direkt ins Herz. Und diese Aufnahme von Sunita ist auch so rein und direkt. Eigentlich das Beste, was passieren kann!

 

Simon Spiess am Saxophon

Simon Spiess als Late Bloom